Kopfverletzung im Sport – was tun?

Der VBG-Algorithmus zur Einschätzung von Gehirnerschütterungen

Kopfverletzungen im Sport sind keine Seltenheit – und leider oft bagatellisiert: „Wird schon wieder“, „Der ist hart im Nehmen“, „Nur kurz benommen“. Dabei können selbst leichte Gehirnerschütterungen weitreichende Folgen haben – körperlich, kognitiv und emotional.

Die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) hat deshalb gemeinsam mit Fachleuten einen Algorithmus zur Einschätzung und Nachsorge von Kopfverletzungen im Sport entwickelt – eine praktische Entscheidungshilfe für Trainer:innen, Betreuer:innen, medizinisches Personal und auch Betroffene selbst.

Was ist eine Gehirnerschütterung eigentlich?

Eine Gehirnerschütterung – medizinisch: Commotio cerebri – ist eine funktionelle Störung des Gehirns nach einem Stoß, Schlag oder Aufprall auf den Kopf. Häufig ohne sichtbare Verletzung oder auffälligen Befund im CT/MRT.

Typische Symptome können sein:

  • Benommenheit, Verwirrtheit
  • Kopfschmerzen, Übelkeit
  • Licht- oder Geräuschempfindlichkeit
  • Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • verzögerte Reaktionen oder Gleichgewichtsstörungen

Wichtig: Die Symptome können direkt nach dem Unfall, aber auch erst Stunden später auftreten!

Der VBG-Algorithmus: Was tun bei Verdacht auf Kopfverletzung?

Die VBG hat ein klares Schema entwickelt, das bei Sportereignissen hilft, rasch und sicher zu handeln. Ziel: Kein Risiko eingehen – und die Gesundheit schützen.

1. Erste Einschätzung auf dem Feld:
  • Kam es zu einem Aufprall, Schlag, Stoß oder Sturz auf den Kopf?
  • Zeigt die Person Anzeichen von Bewusstseinsverlust, Verwirrtheit oder Koordinationsproblemen?

Wenn JA: sofort aus dem Spiel nehmen. Kein „Zurück aufs Feld“!

2. Rote Flaggen – Sofort zum Arzt / in die Klinik

Bei folgenden Symptomen → sofortige medizinische Abklärung:

  • Bewusstseinsverlust (auch kurz!)
  • Gedächtnislücken (Amnesie vor oder nach dem Ereignis)
  • Übelkeit, Erbrechen, Sehstörungen
  • motorische Ausfälle, Sprachprobleme
  • zunehmende Kopfschmerzen oder Wesensveränderungen

Verdacht auf Gehirnerschütterung → immer ernst nehmen!

3. Nachbeobachtung & Verlauf

Die VBG empfiehlt:

  • 24–48 Stunden körperliche und geistige Schonung
  • Neuropsychologie
  • Verzicht auf Bildschirme, Lärm, Schule/Beruf
  • Beobachtung möglicher Spätsymptome
  • Rückkehr zum Sport nur in Stufen und nach ärztlicher Freigabe
Warum das so wichtig ist

Eine nicht vollständig ausgeheilte Gehirnerschütterung kann zu verlängerten Verläufen führen (postcommotionelles Syndrom) – mit chronischer Erschöpfung, Konzentrationsproblemen oder Stimmungsschwankungen.

Besonders kritisch: Zweitverletzungen vor vollständiger Heilung können ernsthafte Gehirnschäden zur Folge haben – bekannt als Second-Impact-Syndrom.

Fallbeispiel: „War doch nur ein kleiner Zusammenprall…“

Ein 17-jähriger Handballspieler prallt während eines Spiels mit einem Gegenspieler zusammen und bleibt kurz benommen am Boden liegen. Trotz offensichtlicher Irritation spielt er weiter. Erst am Abend treten Kopfschmerzen, Übelkeit und Lichtempfindlichkeit auf. Die besorgten Eltern fahren schließlich spät nachts in die Notaufnahme. Dort wird eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Es folgt eine Woche Schulunfähigkeit sowie ein langsamer Wiedereinstieg in Alltag und Sport – begleitet durch neuropsychologische Betreuung.

Was hätte geholfen?
Ein sofortiges Auswechseln des Spielers, die Anwendung des VBG-Algorithmus zur Einschätzung der Kopfverletzung, eine frühzeitige Schonzeit – und vor allem eine klare Kommunikation mit dem Trainerteam und den Eltern.

Die Rolle der Neuropsychologie bei Kopfverletzungen im Sport

Die Neuropsychologie spielt eine zentrale Rolle bei der Erkennung, Einordnung und Behandlung von kognitiven und emotionalen Folgen nach einer Gehirnerschütterung oder einem Schädelhirntrauma.

Auch wenn bildgebende Verfahren wie CT oder MRT unauffällig sind, kann das Gehirn funktionell deutlich beeinträchtigt sein. Genau hier setzt die neuropsychologische Diagnostik an.

Was wir in der Neuropsychologie leisten:

  • Testung von Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Reaktion, Reizverarbeitung
  • Einschätzung der psychischen Belastung (z. B. Reizempfindlichkeit, Überforderung, Stimmung)
  • Verlaufsbeurteilung bei länger anhaltenden Beschwerden („postcommotionelles Syndrom“)
  • Konkrete Empfehlungen zur Alltagsgestaltung, z. B. Rückkehr in Schule, Beruf oder Sport
  • Begleitung bei der schrittweisen Wiederaufnahme von Belastung (z. B. über „Return-to-Play“-Stufen)

Die neuropsychologische Diagnostik kann dabei helfen zu klären, ob die Konzentrationsfähigkeit weiterhin eingeschränkt ist, wie schnell visuelle oder akustische Reize verarbeitet werden, ob es Hinweise auf eine Überforderung bei komplexeren Aufgaben gibt und inwieweit die Selbstwahrnehmung der betroffenen Person noch intakt ist.

In der neuropsychologischen Therapie arbeiten wir gemeinsam an Strategien zur Reizregulation und angemessenen Belastungsdosierung, an Strukturhilfen zur Alltagsbewältigung bei kognitiven Einschränkungen, an der Schulung von Selbstwahrnehmung und Frustrationstoleranz sowie an einer gezielten Rückmeldung an behandelnde Ärzt:innen, Schulen, Sportvereine oder Arbeitgeber.

Ziel: Sicher zurück in Alltag und Sport – ohne Überforderung

Eine Kopfverletzung ist kein Zeichen von Schwäche – aber ein Warnsignal des Körpers.
Die Neuropsychologie hilft, feinere Funktionsstörungen sichtbar zu machen und gezielt zu behandeln – damit Betroffene sicher, informiert und selbstwirksam zurück in ihren Alltag finden können.

In unserer Praxis bieten wir auch sportneuropsychologische Diagnostik und Beratung an – speziell für Sportlerinnen und Sportler nach Kopfverletzungen wie Gehirnerschütterungen oder Schädelhirntraumata. Wir unterstützen bei der sicheren Rückkehr in Training und Wettkampf, begleiten den „Return-to-Play“-Prozess neuropsychologisch fundiert und stehen auch im Austausch mit Vereinen, Ärzt:innen und Trainerteams.

Literatur:
Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (Hrsg.) (2016):
Algorithmus zur praxisgerechten Diagnostik und Therapie bei Schädel-Hirn-Traumen im Sport.
Hamburg: VBG.
Verfügbar unter: https://cdn.vbg.de/media/a56f377cbd8448e4b2e5fe7c27afad8b/dld%3Aattachment/Algorithmus_zur_praxisger_2E_Diagnostik_u_Therapie_bei_Schaedel-Hirn-Traumen_im_Sport.pdf

1080 1350 Neuropsychologie Armgardt