Viele Menschen kennen es: Der Kopf ist voll, Termine stapeln sich, das Handy klingelt ununterbrochen, und am Ende des Tages ist man erschöpft, unkonzentriert und gereizt. Sofort kommt die Frage auf: „Bin ich einfach überlastet – oder könnte es ADHS sein?“
Die Unsicherheit ist verständlich, denn die Symptome ähneln sich auf den ersten Blick: Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit, Schwierigkeiten mit der Aufmerksamkeit, innere Unruhe. Doch hinter diesen Beschwerden können sehr unterschiedliche Ursachen stecken. Während ADHS eine neurobiologische Störung ist, die meist schon seit der Kindheit besteht, ist Reizüberflutung eine Reaktion des Gehirns auf die Anforderungen unserer modernen, reizintensiven Welt.
Es lohnt sich daher, genauer hinzuschauen.
Was ist ADHS?
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist keine „Modeerscheinung“, sondern eine klar definierte, wissenschaftlich belegte Diagnose. Sie gehört zu den häufigsten neuropsychologischen Störungsbildern und tritt sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen auf.
Typische Merkmale sind:
- Unaufmerksamkeit: Schwierigkeiten, Aufgaben konzentriert zu Ende zu bringen, leichtes Ablenken durch äußere Reize, häufiges Vergessen.
- Impulsivität: voreiliges Handeln, Unterbrechen von Gesprächen, Schwierigkeiten mit dem Einhalten von Regeln.
- Hyperaktivität: innere oder äußere Rastlosigkeit, ständiger Bewegungsdrang oder ein „Getrieben-Sein“.
Bei Erwachsenen kann sich ADHS auch „versteckter“ zeigen: weniger durch körperliche Unruhe, sondern durch innere Nervosität, Planungsprobleme und eine chronische Überforderung im Alltag.
Wichtig ist: ADHS ist ein stabiles Muster, das in verschiedenen Lebensbereichen über Jahre hinweg auftritt – also nicht nur bei der Arbeit oder in stressigen Phasen, sondern auch in Familie, Freizeit und sozialen Beziehungen.
Was bedeutet Reizüberflutung?
Im Gegensatz dazu ist Reizüberflutung kein Krankheitsbild, sondern ein Zustand. Er entsteht, wenn unser Gehirn zu viele Eindrücke gleichzeitig verarbeiten muss und die Filterfunktion nicht mehr ausreicht.
Typische Auslöser sind:
- ständige digitale Reize wie Benachrichtigungen am Smartphone, Mails oder Social Media,
- multitaskingreiche Arbeitsumgebungen, in denen mehrere Aufgaben parallel erledigt werden sollen,
- laute oder chaotische Umfelder, die Konzentration erschweren,
- oder dauerhafte Stressbelastung, die die Reizverarbeitung zusätzlich schwächt.
Die Folgen können sehr ähnlich wirken wie bei ADHS: Konzentrationsprobleme, Vergesslichkeit, Gereiztheit oder Rückzug. Allerdings sind sie meist situationsabhängig – sobald die Reizflut reduziert wird oder Pausen möglich sind, bessern sich die Symptome deutlich.
Wie kann man ADHS und Reizüberflutung unterscheiden?
Die Unterscheidung ist oft nicht leicht, da sich die Beschwerden überschneiden. Ein paar Leitfragen können aber helfen:
- Dauer und Stabilität: Treten die Probleme dauerhaft und in allen Lebensbereichen auf (Arbeit, Familie, Freizeit)? → Hinweis auf ADHS.
- Beginn: Waren Auffälligkeiten bereits in der Kindheit vorhanden? → ADHS entwickelt sich nicht plötzlich im Erwachsenenalter.
- Auslöser: Verschlechtern sich Konzentration und Gedächtnis vor allem in stressigen Phasen oder reizintensiven Umgebungen, bessern sich aber in Ruhe? → eher Reizüberflutung.
- Verlauf: ADHS bleibt in der Regel über Jahre stabil bestehen. Reizüberflutung schwankt – je nach Lebenssituation und Belastung.
Eine endgültige Abklärung kann jedoch nur durch eine fachärztliche oder neuropsychologische Diagnostik erfolgen. Diese schließt Anamnese, Testungen und oft auch Gespräche mit Angehörigen ein.
Strategien im Umgang mit Reizüberflutung
Auch ohne ADHS kann eine reizüberladene Umwelt sehr belastend sein. Viele Menschen leben heute in einem Dauerzustand der Überforderung, ohne es bewusst wahrzunehmen. Hilfreich können sein:
- Bewusste Pausen einplanen: Das Gehirn braucht Erholung. Kurze „Mikropausen“ von 5–10 Minuten ohne Bildschirm oder Gespräch können schon viel bewirken.
- Reize reduzieren: Push-Benachrichtigungen ausschalten, feste Zeiten für Mails einplanen, Arbeitsplatz aufräumen.
- Achtsamkeit & Entspannungstechniken: Atemübungen, Yoga oder Spaziergänge im Grünen helfen, das Nervensystem zu beruhigen.
- Prioritäten setzen: Nicht alles muss sofort erledigt werden. „Weniger, aber mit mehr Fokus“ ist oft der Schlüssel.
- Schlaf & Erholung: Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus stärkt die Fähigkeit des Gehirns, Reize zu filtern.
Mir ist es sehr wictig darauf hinzuweisen, dass nicht jede Ablenkbarkeit oder Vergesslichkeit automatisch ADHS bedeutet. Häufig ist es schlicht eine Folge unserer reizüberfluteten Lebensweise. Dennoch gilt: Wer dauerhaft das Gefühl hat, den Alltag nicht mehr zu bewältigen, sollte eine professionelle Abklärung in Anspruch nehmen. Nur so lässt sich zuverlässig unterscheiden, ob es sich um ADHS oder „nur“ um Reizüberflutung handelt.
Die gute Nachricht: In beiden Fällen gibt es wirksame Strategien, die den Alltag erleichtern können. Während bei ADHS eine umfassende neuropsychologische und ggf. medikamentöse Behandlung sinnvoll ist, helfen bei Reizüberflutung oft schon konkrete Veränderungen im Lebensstil.
Wenn Sie unsicher sind, ob Ihre Symptome auf ADHS oder Reizüberflutung zurückzuführen sind, unterstütze ich Sie gerne in meinen Praxen für Neuropsychologie in Bremen und Oldenburg bei einer professionellen Einschätzung und passenden Strategien für den Alltag.